Gelaufene Veranstaltung
Mittwoch, 11. Dezember 2013 um 20.00 Uhr
im TAK - Theater Aufbau Kreuzberg
LESUNG mit anschl. Gespräch
Irina Liebmann liest aus Ihrer Erzählung "Drei Schritte nach Russland" (Berlin Verlag 2013) sowie aus Ihrem Buch "Das Lied vom Hackeschen Markt" (Hanani Verlag 2012)
“Drei Schritte nach Russland” Erzählung
Was ist Russland? — Diese einfache wie herausfordernde Frage stellt sich Irina Liebmann in ihrem neuen Erzählband und macht Drei Schritte nach Russland . Neugierig begibt sich die Autorin auf eine kulturelle, politische, vor allem aber auch persönliche Spurensuche in dem Land, in dem sie geboren wurde, dem Land ihrer Mutter. Die Suche entwickelt sich zu einer Entdeckungsreise, die zahlreiche Antworten auf alte Fragen gibt – und ganz neue stellt.
In drei Reisen nähert sich Irina Liebmann Russland und der ehemaligen Sowjetunion: Im Frühjahr des Jahres 2009 fährt sie zum ersten Mal nach Moskau, zunächst zögerlich, doch mit der festen Absicht, alte Erinnerungen, Meinungen und vage Vorstellungen mit den gegenwärtigen politischen, kulturellen und alltäglichen (Lebens-)Verhältnissen abzugleichen. Entgegen ihrer ursprünglichen Annahme, Russland sei seit dem Ende der Sowjetunion gleichsam „dröhnend verstummt", findet sie dort weniger ein Verstummen vor als eine im Gegenzug „dröhnende Ignoranz" von Seiten des Westens, und ist überrascht von dem Ausmaß, mitunter aber auch von der Eigenart der praktizierten Erinnerungspolitik.
Liebmanns zweite Reise führt sie im Winter des gleichen Jahres in die mythenreiche und geschichtsträchtige Stadt Kasan an der Wolga – eine Pilgerreise, die geprägt ist von zufälligen, teilweise irrwitzigen und aufschlussreichen Ausflügen und Begegnungen — etwa die mit der „Kasanerin", der Ikone der „Gottesmutter von Kasan" im dortigen Kreml. Während ihres dritten, längeren Sommeraufenthalts im Haus einer Freundin bei Moskau erhält Irina Liebmann schließlich „Familienanschluss" und unmittelbare Einblicke in den vergangenen und gegenwärtigen russischen Lebensalltag.
In vorsichtigen Suchbewegungen folgt und nähert sich Irina Liebmann ihren russischen Wurzeln und dem russischen Status quo auf unterschiedlichen Ebenen. Durch pointierte Momentaufnahmen, einfühlsame Situationsbeschreibungen und präzise Schilderungen schafft sie mühelos den Spagat zwischen analytischer und achtsamer, persönlicher Beschreibung und zeichnet damit ein eindrückliches Bild der Innen- und Außenansicht eines Landes, der eigenen Zerrissenheit zwischen Heimat- und Fremdheitsgefühl, des Staunens und Wiedererkennens. Schon durch den Rhythmus ihrer poetischen Sprache, die Auswahl ihrer Beobachtungen und Begegnungen entfaltet Irina Liebmann in ihrer Erzählung jene große diagnostische Kraft, die wir von den Reiseschriftstellern der Weltliteratur kennen.
Das Lied vom Hackeschen Markt. Drei politische Poeme
In ihren drei Poemen verwandelt Irina Liebmann die Stadt Berlin zum Ort einer sehr persönlichen Auseinandersetzung mit der deutschen Geschichte. In reizvoller Sprunghaftigkeit zwischen Lyrik und Prosa suchen die Texte nach jenem Ort, der „geeignet scheint, zu bleiben“ und nach dem „lebendigen Augenblick“, in dem die Literatur zum Gespräch zwischen Menschen wird.
Es ist, wie die Autorin schreibt, „immer heute in diesen Texten, und wiederum auch gestern, ja manchmal sogar schon morgen. Und immer ist es Berlin – seine Straßen, seine Plätze, seine Ufer, seine Brücken, seine Adler aus Stein und sein Witz, ohne den kein Berliner über die Runden kommt“.
»[...] in seinem freien, sprunghaften Schweifen ein erhellender Ausriss über das Verstreichen der Zeit in der Zeit.«
André Schinkel, Fixpoetry, 18.4. 2013
»[...] In der Tradition Heines und Wolf Biermanns beklagen Irina Liebmanns politische Poeme eine versäumte geschichtliche Möglichkeit, die sich nirgends besser hätte realisieren lassen als in Berlin. Und wie bei Heine weigert sich das lyrische Subjekt zu vergessen, was doch unwiederbringlich verloren ist, es kämpft ohne Hoffnung zu siegen und ist also melancholisch und zuversichtlich und ein bisschen pampig, wie der richtige Berliner eben ist. [...]«
Friedmar Apel, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 4.3.2013