Salonkultur - Der Literarische Salon - Berlin

Litrarische Salonkultur

Gelaufene Veranstaltung

Donnerstag, 10. Januar 2019 um 20.30 Uhr
in der Z-BAR

Lesung und Gespräch

Gerasimos Bekas liest aus seinem Debütroman „Alle Guten waren tot“ (Rowohlt Verlag, erschienen am 20.11. 2018)

Eine Veranstaltung im Rahmen des gemeinnützigen Vereins „Freunde und Förderer des Literarischen Salons e.V.“

Aris wurde in Griechenland geboren und als Kleinkind von Helmut und Gitte adoptiert – eine Art persönliche deutsch-griechische «Wiedergutmachung». Er ist inzwischen Altenpfleger und sein Job eine Zumutung oder, wie einer seiner greisen Patienten es formuliert: «Diese traurigen Augen, da wird man ja lebensmüde.». Als die todkranke Frau Xenaki ihm einen ungewöhnlichen Handel anbietet, schlägt er deshalb nach kurzem Zögern ein: Er soll für etwas Geld nach Griechenland reisen, um ihrer Enkelin Aphrodite eine Erbschaft zukommen zu lassen.
Gleich nach seiner Ankunft in Athen wird Aris vom lebensklugen Kioskbesitzer Stelios und vom Möchtegern-Gigolo Sakis in allerhand seltsame Probleme verwickelt, bevor er Aphrodite und die versteckte Erbschaft überhaupt ausfindig machen kann. Es stellt sich heraus, dass es sich bei der Hinterlassenschaft um alte Familienphotographien handelt. Sie erzählen von Griechenlands dunkelster Zeit, in der Frau Xenaki gegen die deutsche Besatzung kämpfte, gemeinsam mit Aris Kommenos. Der berühmte Widerstandskämpfer ist der Namenspatron von Aris. Und der fragt sich: Wusste Frau Xenaki das?
Gerasimos Bekas schreibt mit Witz und Verve über die Identitätssuche eines jungen Mannes und erzählt dabei so feinfühlig wie schonungslos die Geschichte des griechischen Widerstands während der deutschen Besatzung, eine Epoche, die in Deutschland immer noch gerne vergessen wird. Sein vielschichtiger Roman zeigt auch, wie die heutige Situation des Landes mit seiner Zerstörung durch die Deutschen während des Zweiten Weltkriegs verbunden ist.

Da die Platzkapazität begrenzt ist, sind Reservierungen erwünscht unter: britta.gansebohm@salonkultur.de

Der Mensch zwischen den Stühlen

Gerasimos Bekas im Interview über Deutsch-Griechen, die deutsche Besatzung Griechenlands während des Zweiten Weltkriegs und die Identitätssuche von Immigranten

Gerasimos Bekas schreibt mit Witz und Verve über die Identitätssuche eines jungen Mannes und erzählt dabei so feinfühlig wie schonungslos die Geschichte des griechischen Widerstands während der deutschen Besatzung, eine Epoche, die in Deutschland immer noch gerne vergessen wird. Sein vielschichtiger Roman zeigt auch, wie die heutige Situation des Landes mit seiner Zerstörung durch die Deutschen während des Zweiten Weltkriegs verbunden ist.

DAS INTERVIEW


Ihr erster Roman «Alle Guten waren tot» befasst sich mit der Identitätssuche eines griechischen Immigranten in Deutschland. Aris wurde in Griechenland geboren und von einem deutschen Paar adoptiert. Wie universell ist die Geschichte von Aris?
Der Wunsch nach Zugehörigkeit und die Suche nach Identität sind allen Menschen gleich und in Zeiten von Migration und Mobilität relativ komplex. Wenn du den Schlachthof übernimmst, den schon dein Urgroßvater führte, oder Schülerin an der Schule bist, an der schon deine Mutter unterrichtet wurde, weiß jeder, wo du herkommst und wo du hingehörst. Der Leidensdruck – oder sagen wir, die Motivation – ist ungleich größer, wenn man von seiner Umwelt signalisiert bekommt, dass man anders ist, und Antworten auf Fragen finden muss, die man sich selbst nicht unbedingt stellen würde. Damit einher geht eine Form der Entfremdung und Verunsicherung, die sämtliche Lebensbereiche umfasst. Zugleich kann diese Erfahrung auch einen trügerischen Halt geben. Wer an verschiedenen Orten und mit verschiedenen Sprachen aufwächst, kann seine abstrakte Sehnsucht an etwas Fernem, aber Konkretem festmachen und es idealisieren.

Wie auch Sie selbst ist der Protagonist Ihrer Geschichte ein Deutschgrieche. Wie viel von Ihrer Lebensgeschichte steckt in dem Roman und in Aris’ Odyssee durch Griechenland?
Für «Alle Guten waren tot» habe ich mich ganz bewusst von meiner Lebensgeschichte frei gemacht. Trotzdem glaube ich, dass vieles, was ich in Deutschland und Griechenland erlebe, beobachte oder erzählt bekomme, sehr stark mit meiner Rolle als Mensch zwischen den Stühlen zusammenhängt. Ich erzähle nicht meinen Weg, sondern von Orten und Menschen, die mich geprägt haben.

Die deutsche Besatzung Griechenlands während des Zweiten Weltkriegs ist ein Thema, das in Deutschland selten zur Sprache kommt. Wieso ist das so? Und welchen Einfluss hatte sie auf die nationale Identität der Deutschgriechen?
Es geht erst mal ganz trocken um Gräueltaten an der Peripherie Europas. Ich denke, das lief nach der Devise: Was in Griechenland passiert, bleibt in Griechenland. Es ist aber auch nicht so, dass andere deutsche Massaker per se mehr Aufmerksamkeit bekämen. Was die Aufarbeitung angeht, gibt es zwei große Probleme. Zum einen, lassen sich Grausamkeiten wie das Abschlachten schwangerer Frauen, das beispielsweise in Kommeno stattgefunden hat, nicht rechtfertigen. Es gibt keinen Weg, das im Nachhinein so zu erzählen, dass es in irgendeiner Form nachvollziehbar klingt oder versöhnlich enden kann. Es ist die totale Absage an die Menschlichkeit. Zum anderen beruhigte sich die politische Lage in Griechenland nach dem Ende der Besatzung 1944 keineswegs. Es folgte kein richtiger Wiederaufbau, sondern ein Bürgerkrieg und eine weitere Militärdiktatur. Es ging darum, den Griechen mit einer Art Exorzismus den Kommunismus auszutreiben, der im Widerstand gegen die Deutschen erstarkt war. Generell haben wir in Deutschland keine wirkliche Sprache gefunden, um die deutsche Geschichte mit unseren persönlichen Biographien abzugleichen. Wenn wir in Deutschland von Zeitzeugen reden, denken wir an Überlebende unter den Opfern. Die meisten Menschen haben nur eine grobe Ahnung, was ihre Familie während des Nationalsozialismus erlebt hat. Es gibt einen Schutzmantel aus «Wir haben nichts gewusst» und «Wir konnten uns nicht wehren», obwohl offensichtlich ist, dass das kaum wahr sein kann. Mir ist letztens der Ausspruch begegnet: «Mein Großvater war kein Nazi, aber er war nie kein Nazi.» Das trifft es ganz gut.

Zu Beginn von «Alle Guten waren tot» schreiben Sie über die Griechen: «Sie waren stolz auf ihre Herkunft und hatten Angst vor ihrer Zukunft». Erging es Ihnen und Ihrer Familie ähnlich?
Nicht wirklich. Zumindest anders, als ich das kollektive griechische Trauma beschreiben würde. Mein Vater beispielsweise hat, wie viele Gastarbeiter, nie den Verlust der Heimat überwunden, die er zurückgelassen hat. Diese Heimat entwickelte sich ja weiter, dann kehrte er zurück und spürte den Verlust umso deutlicher. Auf diese Art wird Zukunft zur Bedrohung, weil sie Veränderung bedeutet. Für mich selbst ist Stolz nichts, was ich aus der Vergangenheit ziehe, sondern eher ein flüchtiges Gefühl, und auf die Zukunft freue ich mich.

Ihr Roman behandelt ernste Themen wie Alter und Krankheit, dies allerdings mit viel Humor. Wieso war Ihnen dieser so wichtig?
sWenn es im Leben wirklich ernst wird, gibt es Menschen, die beten, und Menschen, die einen unangebrachten Witz reißen. Letztere haben mich immer besonders fasziniert, und ich begegne ihnen erstaunlich häufig. Für mich gehört das Lachen in einem verheulten Gesicht zu den schönsten menschlichen Ausdrücken.

Quelle: 22.11.2018 von rowohlt

 Gerasimos Bekas
Bild: © Stefan Loeber
Gerasimos Bekas, geboren 1987, wuchs in Griechenland und Franken auf. Er lebt als Autor und Theatermacher in Berlin und Athen. 2013 war er Stipendiat der Bayerischen Akademie des Schreibens. 2014 gewann er den taz-Publikumspreis beim Open Mike. 2018 wurde er vom Mainfranken Theater Würzburg mit dem einjährigen "Leonhard-Frank-Stipendium zur Förderung zeitgenössischer Dramatik" ausgezeichnet.
Aktuelle Produktionen: «Glitsch-Gott» (Maxim Gorki Theater,2015), «G for Gademis» (Griechisches Nationaltheater, 2015) und «Das große Wundenlecken» (Theater Augsburg, 2016/17). «Alle Guten waren tot» ist sein erster Roman.
Moderation: Britta Gansebohm
Freunde und Förderer des Literarischen Salons e.V.
in der Z-BAR
Bergstr. 2, Mitte / Rosenthaler Platz, 10115 Berlin
www.z-bar.de
Gelaufene Veranstaltung

Donnerstag, 13. Dezember 2018 um 20.30 Uhr
in der Z-BAR

Lesung und Gespräch mit dem Autor Jaafar Abdul Karim

Buchpräsentation „Fremde oder Freunde? Was die junge arabische Community denkt, fühlt und bewegt“ (Rowohlt Taschenbuch, 21. August 2018)

Aus: Interview mit Jaafar Abdul Karim von Elisa von Hof, Spiegel Online vom 1.09.2018

„Ich bin ein Teil dieses Landes. Es geht darum, sich selber zu integrieren und zum Teil Deutschlands zu machen und nicht darauf zu warten, dass andere das erledigen.“ Jaafar Abdul Karim

Der mehrfach preisgekrönte Moderator und Deutsche Welle Reporter Jaafar Abdul Karim gilt als Vermittler zwischen der deutschen und der arabischen Community: politisch unabhängig, mutig und frei. Er moderiert die arabischsprachige, in Berlin produzierte Sendung "Shabab Talk", in der junge Leute aus Deutschland und arabischsprachigen Ländern über gesellschaftliche Themen streiten und in Dialog miteinander treten. „Shabab“ ist das arabische Wort für Jugend. Die arabische Jugend zeigt sich äußerst interessiert, wenn in der Sendung über Themen wie Frauenrechte, Homosexualität, Umgang mit Traditionen und Werten gesprochen wird. „Shabab Talk“ erreicht ein Millionenpublikum.

In seinem ersten Buch „Fremde oder Freunde?“ vereint Jaafar Abdul Karim Sachinformationen mit journalistischer Reportage und Porträts. Zugleich erzählt er sehr persönlich von seinen Begegnungen, Erfahrungen und von Menschen, die er begleitet hat. Er vermittelt spannende und bislang unbekannte Einblicke in Themen, die die arabische Community in Deutschland sowie die Jugendlichen im Sudan, Tunesien, Jordanien und Saudi Arabien bewegen. Er berichtet u.a. von Polygamie in Deutschland, dem Kampf von mutigen Frauen und Homosexuellen für ihre Freiheit und ihre Rechte, aber auch vom schwierigen Ankommen der Geflüchteten in Deutschland und den Hürden der Integration, von kleinen Momenten des Glücks und großen Herausforderungen. Jaafar Abdul Karim zeigt in seinem Buch auf, wo sich die arabischen Gesellschaften heute befinden.

„Ich persönlich empfinde es beispielsweise nicht als rassistisch, wenn ich nach meiner Herkunft gefragt werde. Rassismus ist als Begriff also schwer zu fassen. Als ich in Dresden studierte habe, war ich erstaunt, wie wenig meine deutschen Mitstudenten über den arabischen Raum wussten und wie stark sie verallgemeinerten. Aber ich habe das nicht persönlich genommen. Wenn jemand gesagt hat: “In Arabien reiten doch alle noch auf dem Kamel”, dann habe ich gesagt: “Es gibt Google und tausend Bücher, informier’ dich besser.”

Aus: Interview mit Jaafar Abdul Karim von Elisa von Hof, Spiegel Online vom 1.09.2018

Pressestimmen

»Ein gelungenes, ein meinungsstarkes Buch. Ein überaus sympathischer Autor, der aufrecht zu seinen Überzeugungen steht.«
Deutschlandfunk, 22.10.2018

»Jaafar Abdul Karim ist ein Star, aber einer ohne Kult.«
Süddeutsche Zeitung

»Ein neues TV-Gesicht – und eines, das man sich merken sollte.«
Stuttgarter Zeitung

»Shababtalk gibt der arabischen Jugend eine Stimme.«
titel thesen temperamente


 Jaafar Abdul Karim
Bild: © Dennis Dirksen
Jaafar Abdul Karim, geboren 1981 in Liberia, wuchs im Libanon und in der Schweiz auf. Er studierte Medieninformatik an der TU Dresden sowie am Institut National des Sciences Appliquées in Lyon und absolvierte einen Regiekurs an der London Film Academy. Seit 2011 ist er Moderator und Verantwortlicher Redakteur der arabischsprachigen Jugendsendung „Shabab Talk“ der Deutschen Welle. Beim Festival des arabischen Radios und Fernsehens in Tunesien wurde "Shabab Talk" als beste Talkshow mit Gold ausgezeichnet. Seit September 2015 schreibt er bei "Zeit Online" die Kolumne "Jaafar, shu fi?" ("Jaafar, was geht?") auf Deutsch, Englisch und Arabisch. Für die Deutsche Welle und "Spiegel Online" führt er seit Oktober 2015 einen Videoblog, in dem er unter anderem aus einer Berliner Flüchtlingsunterkunft und von einer Pegida-Demonstration berichtete. Die Arbeit führt ihn durch Europa, nach Nordafrika und in den Nahen Osten. Jaafar Abdul Karim kann durch seine Mehrsprachigkeit in unterschiedliche Kulturen eintauchen, ist überzeugter Deutscher und Weltbürger gleichermaßen.
Moderation: Britta Gansebohm
Freunde und Förderer des Literarischen Salons e.V.
in der Z-BAR
Bergstr. 2, Mitte / Rosenthaler Platz, 10115 Berlin
www.z-bar.de
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