Gerasimos Bekas schreibt mit Witz und Verve über die Identitätssuche eines jungen Mannes und erzählt dabei so feinfühlig wie schonungslos die Geschichte des griechischen Widerstands während der deutschen Besatzung, eine Epoche, die in Deutschland immer noch gerne vergessen wird. Sein vielschichtiger Roman zeigt auch, wie die heutige Situation des Landes mit seiner Zerstörung durch die Deutschen während des Zweiten Weltkriegs verbunden ist.
Ihr erster Roman «Alle Guten waren tot» befasst sich mit der Identitätssuche eines griechischen Immigranten in Deutschland. Aris wurde in Griechenland geboren und von einem deutschen Paar adoptiert. Wie universell ist die Geschichte von Aris?
Der Wunsch nach Zugehörigkeit und die Suche nach Identität sind allen Menschen gleich und in Zeiten von Migration und Mobilität relativ komplex. Wenn du den Schlachthof übernimmst, den schon dein Urgroßvater führte, oder Schülerin an der Schule bist, an der schon deine Mutter unterrichtet wurde, weiß jeder, wo du herkommst und wo du hingehörst. Der Leidensdruck – oder sagen wir, die Motivation – ist ungleich größer, wenn man von seiner Umwelt signalisiert bekommt, dass man anders ist, und Antworten auf Fragen finden muss, die man sich selbst nicht unbedingt stellen würde. Damit einher geht eine Form der Entfremdung und Verunsicherung, die sämtliche Lebensbereiche umfasst. Zugleich kann diese Erfahrung auch einen trügerischen Halt geben. Wer an verschiedenen Orten und mit verschiedenen Sprachen aufwächst, kann seine abstrakte Sehnsucht an etwas Fernem, aber Konkretem festmachen und es idealisieren.
Wie auch Sie selbst ist der Protagonist Ihrer Geschichte ein Deutschgrieche. Wie viel von Ihrer Lebensgeschichte steckt in dem Roman und in Aris’ Odyssee durch Griechenland?
Für «Alle Guten waren tot» habe ich mich ganz bewusst von meiner Lebensgeschichte frei gemacht. Trotzdem glaube ich, dass vieles, was ich in Deutschland und Griechenland erlebe, beobachte oder erzählt bekomme, sehr stark mit meiner Rolle als Mensch zwischen den Stühlen zusammenhängt. Ich erzähle nicht meinen Weg, sondern von Orten und Menschen, die mich geprägt haben.
Die deutsche Besatzung Griechenlands während des Zweiten Weltkriegs ist ein Thema, das in Deutschland selten zur Sprache kommt. Wieso ist das so? Und welchen Einfluss hatte sie auf die nationale Identität der Deutschgriechen?
Es geht erst mal ganz trocken um Gräueltaten an der Peripherie Europas. Ich denke, das lief nach der Devise: Was in Griechenland passiert, bleibt in Griechenland. Es ist aber auch nicht so, dass andere deutsche Massaker per se mehr Aufmerksamkeit bekämen. Was die Aufarbeitung angeht, gibt es zwei große Probleme. Zum einen, lassen sich Grausamkeiten wie das Abschlachten schwangerer Frauen, das beispielsweise in Kommeno stattgefunden hat, nicht rechtfertigen. Es gibt keinen Weg, das im Nachhinein so zu erzählen, dass es in irgendeiner Form nachvollziehbar klingt oder versöhnlich enden kann. Es ist die totale Absage an die Menschlichkeit. Zum anderen beruhigte sich die politische Lage in Griechenland nach dem Ende der Besatzung 1944 keineswegs. Es folgte kein richtiger Wiederaufbau, sondern ein Bürgerkrieg und eine weitere Militärdiktatur. Es ging darum, den Griechen mit einer Art Exorzismus den Kommunismus auszutreiben, der im Widerstand gegen die Deutschen erstarkt war. Generell haben wir in Deutschland keine wirkliche Sprache gefunden, um die deutsche Geschichte mit unseren persönlichen Biographien abzugleichen. Wenn wir in Deutschland von Zeitzeugen reden, denken wir an Überlebende unter den Opfern. Die meisten Menschen haben nur eine grobe Ahnung, was ihre Familie während des Nationalsozialismus erlebt hat. Es gibt einen Schutzmantel aus «Wir haben nichts gewusst» und «Wir konnten uns nicht wehren», obwohl offensichtlich ist, dass das kaum wahr sein kann. Mir ist letztens der Ausspruch begegnet: «Mein Großvater war kein Nazi, aber er war nie kein Nazi.» Das trifft es ganz gut.
Zu Beginn von «Alle Guten waren tot» schreiben Sie über die Griechen: «Sie waren stolz auf ihre Herkunft und hatten Angst vor ihrer Zukunft». Erging es Ihnen und Ihrer Familie ähnlich?
Nicht wirklich. Zumindest anders, als ich das kollektive griechische Trauma beschreiben würde. Mein Vater beispielsweise hat, wie viele Gastarbeiter, nie den Verlust der Heimat überwunden, die er zurückgelassen hat. Diese Heimat entwickelte sich ja weiter, dann kehrte er zurück und spürte den Verlust umso deutlicher. Auf diese Art wird Zukunft zur Bedrohung, weil sie Veränderung bedeutet. Für mich selbst ist Stolz nichts, was ich aus der Vergangenheit ziehe, sondern eher ein flüchtiges Gefühl, und auf die Zukunft freue ich mich.
Ihr Roman behandelt ernste Themen wie Alter und Krankheit, dies allerdings mit viel Humor. Wieso war Ihnen dieser so wichtig?
sWenn es im Leben wirklich ernst wird, gibt es Menschen, die beten, und Menschen, die einen unangebrachten Witz reißen. Letztere haben mich immer besonders fasziniert, und ich begegne ihnen erstaunlich häufig. Für mich gehört das Lachen in einem verheulten Gesicht zu den schönsten menschlichen Ausdrücken.